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  • AutorenbildChristina Otto-Sauer

École de Légèreté oder warum Leichtigkeit eigentlich manchmal so schwer ist?

Aktualisiert: 13. Okt. 2019


„École de Légèreté“ … hm … das ist doch die Reitart mit den hohen Händen und den durchgedrückten Pferderücken! Diesen Eindruck haben leider viele Reiter über die sogenannte Schule der Leichtigkeit. Doch was steht eigentlich wirklich hinter dem Begriff?

Die École de Légèreté wurde im Jahr 2004 von Philippe Karl, einem französischen Reitmeister und ehemaligen Écuyer des Cadre Noir (die Cadre Noir ist das französische Pendant zur Wiener Hofreitschule) gegründet. Unter dem Leitsatz „Das Pferd schuldet uns nichts. Wir sind es, die uns dem Pferd verständlich machen müssen“ stehen bei Philippe Karl die absolute Achtung und der Respekt vor dem Pferd sowie eine vertrauensvolle Kommunikation zwischen Pferd und Reiter im Mittelpunkt. Seine Lehre basiert auf dem Wissen großer alter Reitmeister wie La Guérinière, Baucher und Oliveira, doch kombiniert Karl dieses mit Erkenntnissen aus der Anatomie, Physiologie, Psychologie, Bewegungs- und Gleichgewichtslehre und Verhaltenskunde bei Pferden. Die École de Légèreté eröffnet jedem motivierten Reiter und seinem Pferd (egal, welcher Rasse und Disziplin – auch dem ganz normalen Freizeitpferd) einen pferdegerechten Weg zur höheren Reitkunst.

„Ziel der Schule der Légèreté ist ein vielseitig ausgebildetes Pferd, das jederzeit leicht an den Hilfen des Reiters steht.“ Philippe Karl

So weit, so gut denken jetzt die meisten. Und wo ist nun der große Unterschied, und was soll das jetzt mit den hohen Händen? Mein Weg zur Légèreté war auf jeden Fall kein leichter.

Ich bin Wiedereinsteigerin, und nachdem ich meine 4-jährige Trakehnerstute Lotti mit Herzchenaugen gekauft hatte, musste ein Stall in der Nähe her. Eine Freundin von mir hatte ihr Pferd in einem großen Stall stehen und organisierte mir netterweise eine Box und stellte mich ihrer Reitlehrerin vor. Als Lotti endlich eingezogen war, wollte ich natürlich hochmotiviert und schnellstmöglich mit dem Unterricht beginnen. Ich muss hier aber vorausschicken, dass ich Anfang der 90er Jahre mit dem Reiten aufgehört hatte, und damals gab es nur eine Reitweise: rauf aufs Pferd, Hacken zu, Kreuz ran und Hand stehen lassen. Das hat mich zumindest bis zum Bronze-Reitabzeichen gebracht. Jodeldiplom bestanden. Als ich nun jedoch mit Lotti loslegen wollte, war nichts mit aufsteigen, sondern es ging erstmal vom Boden aus los. Abkauübungen … hm … ok, wenn sie meint. Als ich dann endlich mal aufsitzen durfte, war ich total verwirrt. Ich habe überhaupt nicht verstanden, was meine Reitlehrerin von mir wollte und was der Sinn und Zweck des Ganzen war. Ich wollte doch nur irgendwie toll Dressur reiten.

Nach einer dieser verwirrenden und frustrierenden Stunden, die mich gedanklich schon dazu brachten, mir eine neue Reitlehrerin zu suchen, sprach mich eine andere Reitschülerin an, wie toll es wäre, dass noch jemand nach Philippe Karl reiten würde. Ich hatte keine Ahnung, wovon sie sprach, und fing erstmal an zu googeln. Was da alles, neben den unglaublich interessanten Infos zu Philippe Karl, aufpoppte, war gruselig: Rollkur, Schlaufzügel, gequälte Pferdegesichter, blutende Mäuler etc. Ihr mögt euch fragen, ob ich die letzten Jahre in einer Höhle verbracht habe, aber ich habe mich wirklich fast 20 Jahre lang nicht mit Pferden und Reiten beschäftigt. Doch nun wurde ich neugierig und bat meine Reitlehrerin zu einem Gespräch über diese Alternative namens Légèreté. Das Gespräch war mehr als aufschlussreich und ich wusste: Ich will es auch besser machen. Von da an machte alles viel mehr Sinn, Freude und Spaß. Ich fing an, mich mit der Biomechanik und der Psyche der Pferde und der Logik von Reiterhilfen zu beschäftigen, und damit begann eine spannende Reise. Und ich bin noch ganz am Anfang! Ich habe einige Kurse von Bea Borelle, der Frau von Philippe Karl und lizensierte Ausbilderin der Schule der Légèreté, besucht und bin bei einem auch selbst mitgeritten. Ein großes Highlight ist es immer, den Meister Philippe Karl reiten zu sehen, besonders auf seinem Hannoveraner High Noon.

Natürlich gibt es auch, wie bei jeder anderen Reitweise, den einen oder anderen Kritikpunkt. Ich finde es grundsätzlich immer wichtig, über den Tellerrand hinauszuschauen und für sich und sein Pferd zu entscheiden, welcher Weg oder Baustein der Richtige ist. Am Ende wollen wir doch alle nur glückliche, gesunde und ausdrucksstarke Pferde haben.

Ach ja … und die hohe Hand? Zunächst einmal verstärkt eine hohe Hand den Druck auf die Maulwinkel und nicht auf die Zunge des Pferdes und regt damit zum Abkauen an. Weiterhin kann sie das Pferd in der Vorhand und im Widerrist so anheben, dass eine Bergauftendenz entsteht. Ein vorderhandlastiges Pferd kann dementsprechend korrigiert werden. Genauso wie auf diesem Wege die Selbsthaltung verbessert werden kann. Allerdings ist diese Zügelführung auch mit Nachteilen verbunden, denn sie kann – dauerhaft eingesetzt – schnell zu Verspannungen führen. Dann kann sich als Folge ein weggedrückter Rücken zeigen. Deshalb ist es wichtig, und auch im Sinne der Légèreté, die Hände nicht dauerhaft hoch zu tragen. Im Idealfall sinkt die Hand sofort nach erwünschter Reaktion des Pferdes. Und was ist sonst anders: Hand ohne Bein, Bein ohne Hand. Hierzu mag ich folgendes Zitat von Herrn Karl: „Wenn ich jemand mit einem Tritt in den Hintern aus dem Haus befördern will, dann muss ich vorher die Tür aufmachen.“ Also, wenn du möchtest, dass dein Pferd vorwärts geht, und du es aktiv treibst, darfst du es vorne nicht blockieren oder festhalten. Logisch, oder?


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